10... 9... 8... 7... 6... 5... 4... 3... 2... 1... Zero - Lift Off! Direkt aus Los Angeles, Kalifornien, starten Orgy im Jahre 1 auf einen Höllentrip in eine SciFi-Welt, in der die Triebwerke nach satten Gitarrenwänden klingen, das rhythmische Bumpern des Reaktors auf Speed läuft und das Kreischen des Stahls aus der Kehle und der Seele des Sängers Jay stammen.
Und angesichts der atemberaubenden Geschwindigkeit, mit der die Geschichte hier ihren Lauf nimmt, und dem alles überwachenden Opticon fühlt man sich an die großen Epen der Rockgeschichte erinnert, die sich ebenfalls außerhalb des physikalisch definierten Raums begaben: Magma in den Siebzigern, Voivod in den Achtzigern. Gewagte Vergleiche? Mit Sicherheit. Aber was ist nicht gewagt, wenn man es mit Orgy zu tun hat?
Ja, Vapor Transmission ist ein Konzeptalbum - irgendwie. Das gesamte Sound-Outfit weist deutlich auf die sterile Kälte eines technotischen Spacetrips - eine Welt um so vieles Kälter und Härter als die der Stoner-Kollegen Monster Magnet & Co. Aber nein, Vapor Transmission ist kein Hirngewichse: "Die Songs basieren defintiv auf dem wirklichen Leben. Es geht um Szenerien, in denen ich mich wiederfand und die das Leben einer Menge Leute betreffen, denen ich begegnet bin", erklärt Jay Gordon.
Selbst die Namen, die in den storymäßig anmutenden Songtiteln auftauchen sind echt: "Gerrold zum Beispiel ist ein Charakter aus dem wahren Leben, nämlich einer unserer Freunde aus New Orleans." so Gordon über die Figur aus Where's Gerrold? "Eva ist die verstorbene Mutter unseres Produzenten Josh Abraham. Sie starb, ohne dass Josh mit ihr sprechen konnte. Eva war eine großartige Person. Wir gründeten unsere Band in ihrer Garage." Eva bildet allerdings die Ausnahme. Nicht alle Portraitierten kommen auf Vapor Transmission so gut weg. Siehe das vielsagende Suckerface.
Nichts kann darüber hinwegtäuschen, dass Orgy mit Vapor Transmission die ultraharte Linie ihres Debuts Candyass weiterführen. Die reich bevölkerten Songs könnten wahrhaftig aus dem Soundtrack eines PC-Games, eines Splatter-Movies oder eines noch zu schreibenden Hardcore-Musicals stammen. Lloyd-Webber in Stahlrüstung mit Laserschwert? Warum nicht. Orgy, das sind Jay Gordon (voc.), Amir Derakh (git), Ryan Shuck (git), Paige Haley (b) und Bob Hewitt (d).
Bereits mit ihrem Debut Candyass konnten sie eine satte Platin-Auszeichnung in den USA einfahren. Zudem waren sie die erste Band, die vom Korn-Label Elementree gesignt wurden. Ein Background, der den guten Ruf in der Fanbase und den hohen Standard unterstreicht, auf dem Orgy arbeiten.
Vapor Transmission ist voll von Technologie und erschütternden Visionen einer Welt, in der sich die Kommunikationtechnologie gegen den Menschen richtet - eher ein Instrument der Kontrolle als der Freiheit. "Ich bin ein großer Fan neuer Technologien," bestätigt Jay, "aber sie kann leicht für unlautere Zwecke missbraucht werden. Immer kommt was Neues, bald wird man per Bildschirm den Partner am Telephon sehen können. Ich bin sicher, die Regierungen werden sich darüber freuen. Opticon ist das allgegenwärtige Auge, das das alles sehen kann, diese paranoide Big Brother-Geschichte.
Derakh lacht: "Das kommt daher, dass wir aus L.A. kommen. Da gibt es eine Menge Arschlöcher, mit denen du dich herumschlagen musst. Irgeneine Scheiße passiert immer, und ich denke, da kommt eine Menge her. Ich glaube, Vapor Transmission ist unsere Art, damit klar zu kommen." Shuck sieht das alles ein wenig pragmatischer: "Das Album haut dir ins Gesicht , aber auf eine Art, die dir sagt: So, ich hau dich um, und dann klau ich den Lippenstift deiner Freundin..." Eine Faust ins Gesicht, ein Trip in den Raum, ein kraftvoller Vorstoß in den Sumpf des Unbehagens. Wie immer man es dreht und wendet, die SciFi-Metapher bringt es alles auf den Punkt. Und irgendwie ist Vapor Transmission ein Album für Leute wie Orgy: die den Jahrhundertwechsel überstanden haben und denen die Gegenwart so eigenartig 'voriges Jahrhundert-mäßig' vorkommt...
© WEA Records
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