Reggae hat durchaus eine eigene Geschichte in der Hansestadt (und natürlich nicht nur da), die ihre Wurzeln tief im Punk-Reggae-Crossover der ersten Stunde hat. The Clash, die ganze Ska-Bewegung und andere britische Bands der ersten Stunde kamen um Reggae nicht herum, und dieser Virus verteilte sich natürlich auch in der Hamburger Alternative-Punk-Szene.
"Speziell in Hamburg hat der Reggae eine lange Tradition. Im Störtebeker (einer Kneipe in der lange Zeit verrufenen Hafenstraße) und in der Roten Flora haben ja schon in den Achtzigern englische Soundsysteme aufgelegt. Anfang der Neunziger gab es dann schon die Dub-Conference, Dub-Abende im Powerhouse und mit Dub Meruff. Und Gentleman, auch so ein Urgestein, war mit dem Hamburger Silly Walks Soundsystem unterwegs. Reggae war immer ein Teil der Umgebung. Wir sind damit groß geworden".
1996 beschlossen dann Jan Eißfeldt (alias Jan Delay), Martin Wilkes, Marc und der Rest der Verdächtigen während der Flashnism-Tour der Absoluten Beginner, eine Reggae-Band zu gründen, die dann am Heiligen Abend 1996 ihren ersten Gig hatte. Es folgten diverse Sessions und Demo-Aufnahmen und man ließ sich Zeit, in der man am ersten Jan Delay-Album arbeitete, inzwischen mit Oliver Kusterer (aka Dr. Fink 67) und ohne Martin.
Im Sommer 2001 erschien dann das erste Album mit der Sam Ragga Band, nämlich Jan Delays Searching For The Jan Soul Rebels und man ging auf die 60Hz-Tour - mit Jan Delay & Sam Ragga Band. Drei Jahre später folgt nun eine neue CD namens The Sound of Sam Ragga.
Zunächst fällt auf: Rap und Roots sind in den Hintergrund gerückt. Was The Sound Of Sam Ragga nach vorn treibt, sind auf ihrem zweiten Album dicke Dancehall-Beats, die unwiderstehlich hypnotische Wirkung entfalten und brisante Tiefenwirkung entwickeln. Was weiterhin ins Ohr springt, ist die intensivierte Melodie- und Gesangsprägung, die das Album auszeichnet. Und schließlich: Die Zahl der Gaststars, respektive der Vokalisten, ist stark reduziert und die Texte sind fast durchgehend auf englisch gehalten.
"Unser Sound ist reifer und vielschichtiger geworden," erklärt Percussionist Detlef von Boetticher. "Die musikalischen Einflüsse jedes Einzelnen fließen stärker in den Gesamtsound ein und spannen den Bogen von Afro- und Latin-Einflüssen bis zu Funk und Rock, die in den typischen Reggae-orientierten SAM RAGGA-Sound eingeflochten werden."
"The Sound Of Sam Ragga ist außerdem gesangorientierter als Loktown Hi-Life," führt Gitarrist Marc Wilkes aus. "Einige rootsige Elemente sind weggefallen und wir haben die HipHop-Orientierung verlassen. Wir haben unseren Stil stärker fokussiert, unsere Rhythmik funktioniert nun mehr auf Dancehall-Basics, die aber nicht so sehr auf den Beat reduziert sind. Das hängt einfach damit zusammen, dass die Dancehall-Riddims mehr Freiraum für musikalischen Ausdruck bieten."
Die Stärke der SAM RAGGA BAND ist nach wie vor die Integration unterschiedlichster Persönlichkeiten und Aussagen. Die individuellen Biografien und verschiedenen musikalischen Prägungen der Bandmitglieder führen durchaus zu Brüchen und Gegen-sätzen, die sich im Gesamtbild zu einem Großen und Ganzen - eben zum SAM RAGGA-Sound - zusammenfügen. "Die Integration von Widersprüchen ist für uns wichtig," so die Band. "Ein künstlich homogenes Image würde vielleicht unsere Verkaufszahlen steigern, uns aber menschlich in Räume bringen, in denen wir uns nicht wohl fühlen."
Die Vocalparts auf Sound Of Sam Ragga werden weitgehendst von Seanie T., Jessica McIntyre und Esther Cowens übernommen, die nun fest in den Kreis von Marc Wilkes (git), Ali Busse (b), Oliver Kusterer (kb), Hartmut Karez (dr) und Detlef von Boetticher (perc). aufgenommen wurden. Seanie und Jessica genoss man ja bereits auf Loktown Hi-Life, Esther stieß während der Tourneen zum Album dazu. Reduziert hat sich dagegen der Einsatz der Gäste, die zudem mehr in das Gesamtgeschehen integriert wurden. Da ist zum Beispiel Patrice, der einen Track mit Seanie zusammen singt, und General Trees, ein Dancehall-Urgestein aus Jamaica, mit dem Seanie schon ewig etwas zusammen machen wollte. Zusammen haben sie die Lyrics geschrieben, und Trees hat schließlich die Vocals eingesungen.
Einige Gänsehaut verursachende Einsätze hat zudem Simone Watson aus London, die weitgehendst im Alleingang die afrikanischen Chöre auf Show Dem und I Have A Dream eingesungen hat.
Und ein Überraschungsgast durfte natürlich nicht fehlen, obwohl manch ein Purist dem mit Skepsis begegnen wird: Nena selbst bringt ihre besten Seiten zum Tragen und bereichtert dem Song Schade mit Text und Stimme.
Nena? "Ja, und wir sind alle ziemlich begeistert von dem Track, auf dem sie singt. Irgendwie hat sie Loktown Hi-Life in die Hände bekommen und war daran interessiert, mal etwas anderes zu machen. Also kontaktierte sie uns und fragte, ob wir Lust hätten, etwas mit ihr zu machen. Wir haben uns gesagt, naja, probieren kann man es ja mal, 'nein' sagen kann man immer noch. Also haben wir ihr was geschickt. Als das Ergebnis zurückkam waren wir völlig begeistert. Wir haben da wirklich gesessen, uns das angehört und gedacht: Das ist super."
Also besuchte sie die SAM RAGGA BAND im Studio und gemeinsam wurde Schade dann ausgearbeitet. Neben der persönlichen Chemie stimmte auch der gemeinsame musikalische Ansatz. "Es war ein sehr angenehmes Arbeiten mit ihr, eine sehr erfreuliche Angelegenheit. Es weicht sehr von den Sachen ab, die sie sonst so macht, und sie ist auf unsere Musik sehr eingegangen und war dabei völlig relaxt."
Nagt das an der Glaubwürdigkeit? "Nein, warum sollte es? Wir sind in jede Richtung unabhängig, und wenn die Nummer gut ist, ist sie gut. Und darum geht es."
Bis auf Schade, das von Phillip Palm mitproduziert wurde, entstand auch Sound Of Sam Ragga gänzlich unter der Regie der SAM RAGGA BAND. Aufgenommen wurde das Album zunächst im Loktown-Studio, im MOB-Studio wurden mit den Engineers Swen Meyer (Tomte/Kettcar) und Blank Fontana (KMFDM, Die Ärzte) Overdubs und der Mix vorgenommen. Und wie bei Loktown Hi-Life wurde weitgehend auf Samples verzichtet und das Gros der Aufnahmen analog mit der kompletten Band eingespielt. Die Streicher auf Dry Your Eyes kommen zum Teil aus dem Sampler, wurden aber durch echte Streicher ergänzt.
Inhaltlich überzeugt das Album durch eine entspannte Mischung aus persönlichen Themen und kritischer Gesellschafts-Betrachtung. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass die Vokalisten ihre Texte selbst schreiben und dabei aus eigener Erfahrung schöpfen. Show Dem Who You Are und I Have A Dream beschreiben zum Beispiel den immer noch grassierenden Rassismus. "Seanie ist auf den West Indies geboren und in England aufgewachsen. Er hat den alltäglichen Rassismus am eigenen Leib gespürt." Unhappy People greift ein ebenfalls aktuelles und heißes Thema auf: "Die Völker werden massiv angelogen, damit machtgeile Regierungen ihre Ziele durchsetzen können," so Esther, die als gebürtige Amerikanerin damit auch ein klaren Seitenhieb auf die Bush-Administration verteilt. "Alle Völker der Erde müssen gemeinsam auf dem Planeten leben und zusammen die Probleme lösen."
Lalala-Oh dagegen schafft eine Verbindung aus persönlicher und politischer Situation: "Der Text sagt, dass man sich die meisten Stolpersteine selbst in den Weg legt. Der Tyrann im eigenen Ich schiebt die Schuld auf andere, obwohl man bei sich selbst anfangen müsste. Privat und in der gesellschaftlichen Situation."
Einen französischen Text schrieb Jessica, die ein eine französische Mutter hat: Le Temps Vole ist ein mehrdeutiger Titel, der sowohl "Die Zeit rast" als auch "Die Zeit stiehlt" bedeuten kann. "Nichts in diesem Leben ist garantiert," so Jessica. "Man darf sich an nichts festklammern. Immer wartet irgendwo ein Abschied."
Le Temps Vole ist zugleich ein Hint auf die internationalen Ambitionen der SAM RAGGA BAND. "Wir wollen auch außerhalb Deutschlands mehr machen," erklärt Marc. "Wir planen ein paar Shows in Frankreich, wo Patrice ja auch sehr erfolgreich ist, und wollen nach England. Mittlerweile betrachten wir uns ohnehin als Europäer."
Die Chancen dafür stehen sehr gut, zumal die SAM RAGGA BAND sich mit dem neuen Management bei Freddie De Wall und Karin Heinrich erfahrene Profis geangelt hat, die schon seit 20 Jahren unterwegs sind und das Business durch und durch kennen.
Das Jahr 2003 erlebte die SAM RAGGA BAND weitgehend auf Tour. Ca. 60 Gigs in Deutschland, Österreich und der Schweiz standen an, nachdem das Album Loktown Hi-Life erschienen war. Zwischendurch wurden immer wieder neue Ideen festgehalten, bis die ersten Basic-Tracks in einem einsamen Haus in Eutin bei Hamburg zusammengeschmiedet wurden. "Wir konnten dort nur Musik machen, Essen, Billard spielen und spazieren gehen. Optimale Voraussetzungen." Im Loktown-Studio fanden weitere Aufnahmen statt und in den M.O.B.-Studios in Hamburg erhielt The Sound of Sam Ragga im Frühjahr 2004 dann den Feinschliff.
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