Testify ist alles andere als ein Comeback im üblichen Sinn. Aber für Millionen von Fans in der ganzen Welt ist es eine lang erwartete und stürmisch begrüßte Rückkehr eines Künstlers in ein musikalisches Gebiet, das kaum einer besser versteht oder mit mehr Erfolg beherrscht.
Phil Collins hatte in den letzten Jahren andere Wege eingeschlagen. Einerseits spielte er mit seiner Big Band 1999 das Album A Hot Night In Paris ein, andererseits wurde er für seinen Beitrag für die Disney-Produktion "Tarzan" mit Oscar, Grammy und Golden Globe ausgezeichnet. Aber mit Testify betritt Phil Collins wieder den Bereich hochqualitativer Popmusik. Und ohne Zweifel ist er besser denn je. Wenn man lupenreine Kompositionen und Texte mit erwachsenen, reifen Emotionen sucht: jetzt hat die Suche ein Ende.
Es gab natürlich eine Zeit, in der Phil Collins allgegenwärtig war. Eine Zeit, als er zu denen gehörte, die auf dem gesamten Planeten ständig präsent waren. Diese öffentliche Wertschätzung hatte sicher ihre schönen Seiten. Aber das Gefühl, dass einige seiner Hörer nur einen ganz bestimmten Phil haben wollten (den "lustig grinsenden", wie er selbst sagt), schränkte ihn ein und führte in letzter Konsequenz zu Frustrationen. Seine Nummer-1-Hits wie Sussudio und Phil Collins schufen das Bild eines sonnigen und immer heiteren Phil Collins, eine Rolle, die er auf Dauer nur schwer ausfüllen konnte.
In den 1990ern strebte er Veränderungen an. So steckte er seine Schauspielerkarriere zurück, die er als 14-Jähriger in der WestEnd-Produktion Oliver! begann und die 1988 in der Hauptrolle des britischen Filmerfolgs Buster gipfelte, und konzentrierte sich auf die Entwicklung und Ausweitung seiner musikalischen Fähigkeiten und Erfahrungen. Sein fünftes Album Both Sides (1993) stellte das ultimative Ein-Mann-Werk dar. Collins hatte nicht nur die Songs allein geschrieben, gesungen und produziert, sondern auch alle Instrumente selbst eingespielt. Bis heute ist Both Sides sein Lieblingsalbum. Drei Jahre später verkündete er seinen Ausstieg aus Genesis nach 26 Jahren. Nicht wirklich eine Überraschung, zumal er sich fortan vollkommen auf sein Solo-Werk konzentrierte. Seine Erfolge seither sprechen für sich selbst.
Trotz seiner Big-Band-Aufnahmen, den Tourneen und seinem Soundtrack-Beitrag vermisste man schmerzlich eines dieser Phil Collins-Alben, die die Fans so lieben. Sein letztes Studioalbum erschien 1996 und war Dance Into The Light, das weniger intim und persönlich schien als die vorhergehenden. Es hatte fast gruppendynamischen Charakter und reflektierte einen spezifischen Punkt, den Phil Collins auf seiner musikalischen und persönlichen Reise erreicht hatte. Biographisch gesehen: Phil Collins löste sich aus Ehe und Familiensituation, um, wie man ja weiß, eine neue einzugehen. Geographisch gesprochen: Phil Collins verließ England, um in die Schweiz zu gehen, wo er glücklich mit seiner Frau Orianne und seinem Sohn Nicholas lebt. Musikalisch betrachtet: Es sieht so aus, als hätte sein Weg ihn zurück in die Heimat geführt.
"Der Grund für mich, Musik zu machen, lässt sich auf drei Dinge zurückführen: Motown, The Beatles, Stax-Records," beschreibt er. "Ich erinnere mich, wie akribisch ich versuchte, das Feeling dieser alten Aufnahmen wieder zu erschaffen. Aber ich erinnere mich auch genau, wie eng die Schlinge wurde, die zum Beispiel aus Songs wie You Can't Hurry Love resultierte. Es war, als wenn die Leute sagten: 'Wir wollen nur den fröhlichen Phil, oder nette Balladen. Wir wollen nicht so ernsten Kram, dann hören wir lieber Elvis Costello oder so.'"
"Ich liebe diese Hits," fährt er fort. "und jede meiner Shows wäre unkomplett, wenn ich sie nicht spielen würde, aber irgendwann kommt man an einen Punkt, an dem man schreien möchte: Ich kann mehr als das!" Kein Wunder, dass der Wechsel schließlich so dramatisch ausfiel. Die Big Band gab ihm die Möglichkeit mit einigen seiner Helden (und Fans) wie Quincy Jones und Tony Bennett zusammen zu arbeiten. Ein Bereich, von dem er sicher ist, dass er eines Tages zu ihm zurückkehren wird.
Auch Filmsoundtracks sind und werden weiterhin eine Herausforderung sein, und Collins hätte kein durchschlagenderes Debut als Tarzan abliefern können. You'll Be In My Heart bescherte ihm ganze Berge von Auszeichnungen und Statuen und wurde zugleich zu einem der erfolgreichsten Adult-Pop-Hits in den Vereinigten Staaten. Und Phil Collins wird diesem Triumph zwei weitere hinterher schieben - ebenfalls für zwei Disney-Animationsfilme: Tarzan 2 und Brother Bear. Außerdem bahnt sich ein Projekt an, das Tarzan ähnlich wie den König der Löwen auf die Bühne bringen wird. "Wenn man mir vor zehn Jahren gesagt hätte: 'Du solltest mal über ein Musical nachdenken', hätte ich wahrscheinlich geantwortet: 'Pass auf, ich habe Oliver! gemacht. Ich war da, hab's gemacht und brauch es nicht nochmal.' Und dann macht man etwas wie Tarzan, nämlich erzählendes Kino, und plötzlich ist die Idee gar nicht mehr so abwegig. Und wenn es jemand tun muss, dann will ich es sein. Tarzan ist mein Baby."
Zurück zur Gegenwart. Phil Collins räumt ein, dass es ihm erst einmal widerstrebte, ein neues Solo-Projekt zu beginnen: "Seit einem Vierteljahrhundert hat sich ein ganz bestimmtes Muster entwickelt: Du machst eine Platte, und die nächsten zwei Jahre Deines Lebens verbringst Du damit, sie rund um die Welt live aufzuführen. Nun, das will ich nicht mehr tun. Ich bin jetzt 51 Jahre alt, und ich muss das nicht mehr haben. Ich habe eine Frau und einen kleinen Sohn, und ich will mit ihnen Zeit zuhause verbringen. Ich möchte für meine Kinder da sein, und sie nicht von Kontinent zu Kontinent durch die ganze Welt jagen."
Trotzdem, Musikmachen liegt ihm nun einmal im Blut. Und jetzt, da er sich entschlossen hat, keine Tour zu machen, ergibt er sich dem Unvermeidbaren und erlaubt den Songs, die Testify ausmachen, den Schritt in die Welt. Und wie man hört, können diese Songs nur von einer Person stammen. Testify ist der Sound eines Mannes, der sich wieder in sich selbst wohl fühlt, und in der Welt, die ihn umgibt.
© WEA Records / Übers.: tbe
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